Die Potentiale digitaler Technologien sind noch lange nicht ausgeschöpft auch hinsichtlich der Künstlichen Intelligenz (KI). Über die Vorteile von Wissensgraphen, Use Cases und herausragende graph-basierte Anwendungen sprach Silvia Parthier, it-daily.net, mit Dr. Lutz Krüger, Semantic Web Company GmbH.

Was zeichnet eine graph-basierte Lösung aus?

Lutz Krüger: Graph-basierte Lösungen haben gleich mehrere Vorteile. Sie schaffen eine gute Dialogmöglichkeit zwischen Menschen und Maschinen. Es ist ein sehr wichtiger Punkt, dass diese Technik mit den Menschen, die in die Modellierung und Entwicklung involviert sind, in Verbindung treten kann. Ein visualisierter Wissensgraph ist eine gute Basis dafür. In diesem Fall beschreibt ein Graph nicht nur einen mathematischen Zusammenhang, sondern zeigt Zusammenhänge mit Hilfe von Graphen, Knoten und Verbindungen. Wir Menschen sind sehr gut in der Lage, diese visualisierten Graphen zu verstehen und können diese somit weiterentwickeln und anwenden. Auf der anderen Seite können die Maschinen diese Wissensgraphen und die damit modellierte Bedeutung von Zusammenhängen (Semantic) auch erkennen und weiterverarbeiten. Das ist in Unternehmen oft ein wichtiger Punkt, warum Wissensgraphen derzeit so erfolgreich eingesetzt werden.

Über Wissensgraphen lassen sich aber auch Dokument- und Daten-Anwendungen miteinander verknüpfen. So kann man semantische Verbindungen schaffen, die heute in großen Unternehmen noch nicht existieren, zum Beispiel zwischen Dokumenten aus dem Intranet und Daten aus ERP-Systemen.

Ein weiterer Nutzen graph-basierter Lösungen besteht darin, dass Experten aus unterschiedlichen Bereichen mit Hilfe von Wissensgraphen zusammenarbeiten können. Die Experten für einen gewissen Bereich entwickeln einen Teilwissensgraph. Dieser Teilwissensgraph kann in einen größeren Wissensgraph eingefügt werden. Dann können auch andere Experten auf dieses Teilwissen zugreifen. So existieren zum Beispiel in Pharmaunternehmen erweiterte und komplexe Zusammenhänge in verschiedenen Formen und Formaten, in einer Tabelle, in einem Netzwerk oder in einer Ontologie. Diesen Teilwissensgraph kann man mit anderen Wissensgraphen verknüpfen. Es entsteht ein umfangreicher Wissensgraph, auf den alle Experten des Unternehmens zugreifen können. Das ist ein wesentlicher Vorteil von Wissensgraphen für das Unternehmen.

Die Semantic Web Company hilft Organisationen bei der Entwicklung von Strategien für die effiziente Einführung und Implementierung innovativer Wissens- und Graph-Technologien. Wie gehen Sie bei dieser Beratung vor?

Lutz Krüger: Wir bieten Beratung und unser Produkt an, das Wissensgraphen für große und mittelständische Unternehmen zur Verfügung stellt. Wenn ein Kunde auf uns zukommt, ermitteln wir erst einmal das Potential von Wissensgraphen in diesem Unternehmen. Hier gibt es unterschiedliche Szenarien.

Im Rahmen der Digitalen Transformation möchten viele Unternehmen einen Wissensgraph einführen. In diesem Fall haben sich die Experten in diesem Unternehmen bereits Gedanken über Anwendungsmöglichkeiten für einen Wissensgraph gemacht. Das ist die optimale Voraussetzung.

Steckt keine Digitale Transformation hinter der Anfrage, sondern ein Projekt oder eine Anforderung, dann schauen wir uns zusammen mit den Experten Fallbeispiele an, die für das Unternehmen besonders relevant sind. Zum Beispiel eine zentrale Suche, über die Mitarbeiter auf alle Daten und Dokumente im Unternehmen auf intelligente Weise zugreifen können. Dieser Use Case beinhaltet zusätzliche Anforderungen (z.B. eine tätigkeitsbezogene Personalisierung), die über die Funktionen großer Suchmaschinen, die wir alle kennen, hinausgehen.

Ein weiterer Use Case ist die Analyse. Entscheidungsträger im Unternehmen wollen alle Daten und Fakten auf dem Tisch (Dashboard) haben, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können und das am liebsten in real-time. Dafür eignet sich ein Wissensgraph ganz hervorragend. Experten entwickeln gemeinsam diesen Wissensgraph, der alle Daten und Zusammenhänge abbildet, die in diesem Unternehmen für Entscheidungen wichtig sind. Die Anwender im Unternehmen greifen dann auf die zeitaktuellen Daten zu und können Zusammenhänge und Prognosen erkennen und wenn erforderlich, im Detail analysieren. Wissensgraphen müssen dafür zu jeder Zeit die Änderungen im Unternehmen reflektieren und angepasst werden, z.B. im Zuge der Einführung eines neuen Produkts.

Das Risiko Management ist ebenfalls ein Einsatzgebiet für Wissensgraphen und KI. Organisationen können Risiken früher erkennen, die richtigen Entscheidungen treffen und reagieren.

Geht es an die Implementierung eines Wissensgraphen, bieten wir unseren Kunden drei wesentliche Vorteile:

Explainable KI für Transparenz und Qualitätssicherung:

Künstliche neuronale Netze haben häufig den Charakter einer Black Box – wir trainieren und nutzen die Black Box, aber eigentlich weiß niemand, was in der Blackbox passiert. Wir vertreten vielmehr den Standpunkt der „explainable“ oder erklärbaren KI. Man muss erklären können, was in der Black Box passiert, wie Entscheidungen zustande kommen. Diese Transparenz ist für die Qualitätssicherung enorm wichtig. In der Medizintechnik werden Bildaufnahmen analysiert. Der Arzt muss sicher sein, dass die Technik ihm die richtigen Resultate liefert. Er muss sie nachvollziehen können. Das ist mit der Black Box eines neuronalen Netzes nicht ohne weiteres möglich. Wir wollen dem Kunden immer transparent sagen können, was in der KI unseres Produktes passiert.

Standards:

Unser Produkt basiert auf weltoffenen Standards, die von anerkannten Organisationen ausgearbeitet wurden und seit Jahren existieren. Diese Standards lassen die transparente und schnell erweiterbare Verwaltung unserer Wissensgraphen zu.

Mehrsprachigkeit:

Die Standards enthalten auch die Mehrsprachigkeit. Wir können von Anfang an, Wissen in allen Sprachen verwalten. Dabei besteht ein Wissensgraph aus einzelnen sprachspezifischen Wissensgraphen. Das ist ein weiterer Vorteil unseres Systems.

Welche Arten von Anwendung eignen sich für eine graph-basierte Lösung?

Lutz Krüger: Graph-basierte Lösungen eignen sich für alle Bereiche, in denen jede Form von Wissen von unterschiedlichen Personen und Gruppen verarbeitet und benutzt wird. Industriespezifische Anwendungen werden bereits in der Pharmaindustrie und in Produktionsanlagen (Industrie 4.0) verwendet. Auch im Finanzwesen werden Wissensgraphen bereits sehr erfolgreich eingesetzt

Typische Anwendungen für graph-basierte Lösungen:

  • Intelligente semantische Suchmaschine
  • Umfassende Analyse aller Daten
  • Chatbot, Sprachassistent, Frage-Antwort-Systeme
  • Help Desk, Support

Im Support geht es darum, die Kunden bestmöglich zu unterstützen. Das Support-Team steht beispielsweise oft vor einer riesigen Datenmenge mit Tickets, und versteht nicht, warum in einer Woche viele Tickets in einem Bereich eingegangen sind. Hier kann mit einer graph-basierten Lösung und Text Mining eine Analyse der komplexen Fehler-Zusammenhänge durchgeführt werden und die für das menschliche Auge nicht sichtbaren Zusammenhänge erkannt werden. Das Support-Team weiß dann, was zu verbessern ist.

Die aktuell auf Webseiten verfügbaren Chatbots sind leider nicht so schlau wie die Anwender sie erwarten. Warum ist das so?

Lutz Krüger: Aktuell soll sogar die Tendenz weg von Chatbots gehen. Ich weiß nicht woran das liegt. Vielleicht akzeptieren die Menschen Chatbots nicht, oder die Bots sind einfach noch nicht gut genug. Die heute in Anwendungen eingesetzte KI nennt man „schwache“ Intelligenz. Wir stehen noch sehr am Anfang der Entwicklung und Nutzung von KI. Es wird noch Jahre dauern, bis wir zu „starker“ Intelligenz oder General Intelligence gelangen.

PoolParty Semantic Suite ist eine semantische Middleware-Plattform. Wie unterstützt sie Unternehmen bei der Umsetzung ihrer KI-Strategie?

Lutz Krüger: Wir nutzen semantische KI und verbinden sie mit Wissensgraphen, um erklärbare Intelligenz zu implementieren. Mit der PoolParty Semantic Suite wollen wir den visionären Weg zur Anwendung der zukünftigen “General Intelligence” mit entwickeln.

Unternehmen können mit der PoolParty Semantic Suite Daten präzise vernetzen, kategorisieren und wiederverwenden. Die Experten können anderen Systemen die Wissensgraphen zur Verfügung stellen. Die Suite wird bereits intensiv genutzt und unsere Anwender verfügen auch über das notwendige Wissen dazu. Sie haben verstanden, dass ein Wissensgraph enorm viel im Unternehmen verändern kann. Wir haben über 150 Kunden, die unser System schon länger benutzen. Der Wissensgraph als Kern des gesamten Wissens ist erst in den letzten Jahren systematisch in innovativen Unternehmen angewendet worden. Es fließen laufend neue Erkenntnisse und Technologien in das Produkt ein, die vielfach auch durch neue Ideen unserer Kunden und Partner angeregt werden.

Nennen Sie bitte eine herausragende Anwendung, die mit Hilfe der PoolParty Semantic Suite entstanden ist.

Lutz Krüger: Viele dieser Anwendungen sind innerhalb der Unternehmen in Benutzung und deswegen kaum in der Öffentlichkeit präsent. Zwei herausragende Anwendungen sind öffentlich:

ConSent-Projekt: Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover hat am 21.08.2019 zusammen mit dem Landesamt für Umwelt (Bayern) und dem Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau im Regierungspräsidium Freiburg (Baden-Württemberg) das ConSent-Projekt gestartet. Das Akronym ConSent steht dabei für den Titel „Connect Semantic“, das heißt, es sollen die Generallegenden der großmaßstäbigen geologischen Karten in Bayern und Baden-Württemberg, die in Maßstäben von 1:25.000 bzw. 1:50.000 vorliegen, mit Methoden des Semantic Web verknüpft werden.

Healthdirect: Der Symptom Checker läuft in Australien. Ratsuchende können ihre Krankheitssymptome eingeben. Im Hintergrund existiert ein umfassender Wissensgraph, der den Dialog führt und den besten Rat ermittelt, wie etwa ein bestimmtes Medikament einzunehmen oder dringend einen Facharzt aufzusuchen. Die Anwender können auf ein elektronisches Fachlexikon zugreifen und erhalten ggf. auch Service-Rufnummern. Die Informationen und Ratschläge von Healthdirect werden in einem strengen klinischen Governance-Rahmen entwickelt und verwaltet. Dieses Projekt hat zur Zeit von allen mit der PoolParty Semantic Suite erstellten Lösungen die höchsten Zugriffszahlen.

Sind Künstliche Intelligenz und semantische Technologien grundsätzlich auf große Datenmengen angewiesen?

Lutz Krüger: Grundsätzlich nicht. Für Machine Learning sind große Datenmengen notwendig. Jedoch kommt es grundsätzlich auf die Qualität, die Relevanz und die Vollständigkeit der Daten für den Anwendungsfall an.

Künstliche Intelligenz rückt mehr und mehr ins Rampenlicht und fließt bereits in viele Anwendungen ein. Welche zentralen Herausforderungen und Chancen sehen Sie für die KI bis 2030?

Lutz Krüger: In der KI steckt ein hohes Potential an Wachstum. Sie wird in allen Branchen zum Einsatz kommen. Mit Hilfe der KI werden Anwendungen billiger, schneller und komfortabler. Bereits heute gelingt es mit einem neuronalen Netz die Finger-Erkennung zu einem günstigen Preis in Smartphones einzubauen.

Auch die Begrifflichkeit wird sich ändern. Sobald die KI wirklich intelligent ist, werden wir sie nicht mehr KI nennen. Sie wird in andere Anwendungen eingebettet sein. Im Bereich der Militärtechnik stellt sich die Frage, wie viel KI eingesetzt werden darf oder sollte, vor allem wenn es sich um selbstentscheidende Intelligenz handelt.

Auf jeden Fall muss KI qualitativ nachvollziehbar sein. Wir verknüpfen Wissensgraphen und KI und bieten damit eine erklärbare Form der KI an.

Wissensgraphen und KI – ein Traumpaar? Eindeutig ja.

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